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Six Degrees Of Inner Turbulence (Disc 1)
Label: Elektra Entertainment Group In
Format: CD
Erscheinungsjahr: 2002
Gesamtlänge: 54:18
Genre:
Tracks | ||
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1 | The Glass Prison | 13:52 |
(Myung, John / Petrucci, John / Portnoy, Mike / Rudess, Jordan) | ||
2 | Blind Faith | 10:21 |
(Myung, John / Petrucci, John / Portnoy, Mike / Rudess, Jordan / LaBrie, James) | ||
3 | Misunderstood | 09:32 |
(Myung, John / Petrucci, John / Portnoy, Mike / Rudess, Jordan) | ||
4 | The Great Debate | 13:45 |
(Myung, John / Petrucci, John / Portnoy, Mike / Rudess, Jordan) | ||
5 | Disappear | 06:45 |
(Myung, John / Petrucci, John / Portnoy, Mike / Rudess, Jordan / LaBrie, James) | ||
- CD-Kritik von Kristian Selm
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Dream Theater scheinen aus der eigenen Not eine Tugend gemacht zu haben. Glücklicherweise steht ihre Plattenfirma hinter ihnen und zwingt sie nicht mehr anscheinend "massenkompatible" Songs, wie auf dem nicht unbedingt geliebten 97er Werk "Falling into infinity" abliefern zu müssen. Der eigenen Not begegnend - wie wohl kaum eine andere Band, die Fans sowohl aus dem Metal, als auch dem Progressive Rock Lager bedient, es aber nie allen Recht machen kann - wurde mit dem aktuellen Doppelalbum "Six degrees of inner turbulence" zwei Scheiben vorgelegt, die jeweils für beiden Seiten etwas bieten. Missglücktes Experiment oder maßgeschneiderte Anpassung an die eigenen Ansprüche - diese Frage werden letztendlich die Fans beantworten, denn "Six degrees of inner turbulence" ist sicherlich ein zwiespältiges, nicht gerade einfaches und für manche vielleicht auch enttäuschendes Album.
Von der handwerklichen Seite bieten die Metal Technokraten den üblich hohen Standard, man bekommt wieder jede Menge ausufernde Soli, "krumme" Taktwechsel und Breaks, sowie ausschweifende Arrangements voller Abwechslung geboten. Leider übertreibt es vor allem Mike Portnoy, der sich noch so wohltuend bei TransAtlantic zurückgenommen hat, bei seiner Stammcombo an manchen Stellen doch erheblich. Als gleichzeitiger Produzent legt er einige Schlenker zu viel ein, lässt die Double Bass Drum zu massiv wummern, mischt das Schlagzeug doch zu penetrant in den Vordergrund, statt mehr auf Gefühl und Groove zu bauen. Und wie auch schon fast üblich, bekommt der ausgezeichnete Bassist John Myung wieder mal die im Hintergrund verschwindenden Statistenrolle zugeordnet, statt seinen sorgsamen Einfällen mehr klangliche Fülle zu verleihen. Jordan Rudess Keyboards stehen dafür wieder mehr im Vordergrund, Flinkfinger John Petrucci spult sein ganzes Repertoire von Gefühl, Riffgewitter und Saitengeflitze ab, während Sänger James LaBrie eine solide, ordentliche Leistung vorlegt. Dream Theater lassen dieses mal auch einige moderne Strömungen einfließen, besonders die Keyboard- und Gitarrensounds klingen zeitgemäß und geben dem Album einen aktuellen Anstrich ohne auf die bandtypischen Trademarks zu verzichten.
Die erste CD von "Six degrees of inner turbulence" zeigt vielleicht am Ausgeprägtesten, die extremen Seiten von Dream Theater. Während einem der fast 14-minütige Opener "The glass prison" mit einer unheimlich Wucht, Schnelligkeit und Power, in fast nicht erwarteter Härte um die Ohren gehauen wird, ist die etwas blutleer wirkende Ballade "Disappear" einer der schleppendsten und inhaltlich verhaltendsten, langweiligsten Nummern des Traumtheaters. Dazwischen rollt verhältnismäßig oft die Dampfwalze mit voller Wucht über den Hörer hinweg, eine Art von Heavyness, die mir äußerst gut gefällt, aber sicherlich nicht jedem zusagen wird. Dafür setzen die atmosphärischen Parts von "Blind faith" und "The great debate" (übrigens meinem Favoriten, da dort endlich auch mal mehr Bass zu hören ist), sowie der vom Klang her durchgeknallte Schlussteil von "Misunderstood" (erinnert stellenweise an King Crimson) ganz neue, äußerst interessante Akzente. Je öfter man sich durch die gesamte CD durchhört, um sehr mehr interessante Facetten entwickeln sich, auch wenn die Amerikaner fast vollständig auf prägnante Melodien und Hooks verzichten, sondern mehr mit Sounds und Eindrücken brillieren.
CD 2 nimmt dann den Heavy Einfluss, zugunsten teils moderaterer, aber auch wesentlich komplexer Töne zurück, webt wesentlich mehr sinfonische, Prog-typischere Momente ein. Und so erstaunt es auch nicht, dass die Kommentare aus dem Heavy Lager eher äußerst zurückhaltend, teilweise richtig verstört gegenüber dem 8-teiligen, 42 Minuten langen Titeltrack klingen. Dies soll jetzt aber keineswegs heißen, das "Six degrees of inner turbulence" auf irgend etwas verzichtet. Die Balance ist nur etwas anders verteilt und der Titel ist weit davon entfernt, wie Weichspül-Kost zu klingen. Dieses Stück ist zum Teil noch mehr fragmentiert, noch sprunghafter, im stetigen Wechsel innerhalb sich selbst, was auch zu einer gewissen uneinheitlich wirkenden Verrissenheit führt. Doch endlich bekommt man auch gefühlvolle, emotional packende Gitarrensoli bzw. orchestralen Bombast geboten, ohne dass Dream Theater zu eigenen Bestätigung immer nur das volle Brett fahren müssen. Die Mitarbeit von Mike Portnoy bei TransAtlantic scheint sich auf Dream Theater positiv auszuwirken. Wer Gefallen an Abwechslung findet, nicht unbedingt wiederkehrende Ideen zum Halt benötigt, wird in diesem einfallsreichen "Durcheinander" vielerlei starke Momente finden. Bei mir war es komischerweise so, dass ich mit der ersten, für Dream Theater Verhältnisse geradlinigeren CD, mich erst langsam, aber stetig anfreunden musste, während die zweite CD schon beim ersten Hördurchgang sofort zündete. (Bei mir ist's genau anders herum. Die erste ist zwar brachial, aber gut, die zweite find ich recht öd. Die hat bis heut noch nicht gezündet. Anm. El Supremo).
Auch wenn Dream Theater an manchen Stellen zu arg ihre zweifellos vorhandene technische Seite "heraushängen" und nicht mehr die ausgewogene Balance aus Härte, Melodie und Technik wie z..B. auf "Images und words" finden, so ist ihnen mit "Six degrees of inner turbulence" im Gesamteindruck zweifellos ein sehr variationsreiches, zwischen den eigenen Extremen schwankendes Album gelungen. Vielleicht nicht für jeden der richtige Weg, aber auf jeden Fall eine mutige Entscheidung zur eigenen Identität.